Zirkus

                   Pferde

                   Murmeln

                   Stavanger

                   Wer

                   Jeder Radfahrer weiß...

Nachbarschaft

                   Tische

                   Die Gezähmte

                   Gelegentlich

                   Künstlerpech

Schlechter Winter

                   Es regnet

                   Autoren

                   Der Spieler

                   Fortschritt

                   Schnee

                   Gesprächig

                   Konjugation

                   Guter Rat

                   Robinson

                   Schnee in der Stadt

Der Weihnachtsmann

                   Havelschiffahrt

                   Das Meer

                   Nationale Gemeinsamkeit

                   Anläßlich der Begrünung...

Vergeblicher Versuch, mit einem Verwandten ins Gespräch zu kommen

                   Planetarium

                   Häuser

                   Leistungsverweigerung

                   Belauschungen

                   Reklamation

                   Lebenslauf

                   Top secret

                   Nachsaison am Hafen von List

Berlin, Bayerischer Platz

                   Anschlag auf dem Reichsbahn-Bahnhof  Caputh-Geltow

                   Neumond über Lanzarote

                   Noch immer

                   Der Frühling

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Z i r k u s

 

 

Ein schlechtes Geschäft!

Der Clown ein Vielfraß,

der Löwe asthmatisch,

die Trommel geplatzt.

 

Ludmilla

hängt schief am Trapez.

 

Ein Auftritt von Ihnen,

mein Herr,

könnte vielleicht

mich noch retten.

                  

Hätten Sie Lust ?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

P f e r d e

 

 

Sie fehlen seit Jahren

in meinem

Programm.

 

Ein Lasso kaufen,

nach Texas fliegen,

der Wurf.

 

Dann üben

zu Haus:

im Wohnzimmer

rund um den Tisch,

der Sprung über die Couch.

Auch

hätt` ich die Treppe zu meistern.

 

So,

denk` ich,

wären die Nachbarn endlich bereit,

Eintritt zu zahlen

in meinem

Zirkus.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

M u r m e l n

 

 

Erinnerungskugeln

aus Farben gemacht -

schon lange vorbei.

 

Auch: Worte murmeln,

für keinen bestimmt.

(O, mein nicht vorhandener Bart !)

 

Vor seiner Tür

das Murmeltier

pfeift

auf alle Worte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

S t a v a n g e r

 

 

Die Stadt, in der ich nie gewesen bin.

 

Am Marktplatz steht ein Kiosk,

dort gibt es allen Schnee der Welt zu kaufen.

Im Rathaus sitzt der alte Bürgermeister

und läßt aus seinem Bart

das Nordlicht blühn.

Durch alle Kneipen schäumt das Meer

und schüttelt Muscheln in verriffte Bootsmannskehlen.

 

Die Seehundsflossen wedeln,

wenn meine Freundin kommt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

W e r

 

hat die Pantoffeln in den

Schrank geworfen ?

Wer

hat den Kamm in das

Zahnglas gestellt ?

Wer

hat die Gabel in den Kasten

für Messer gelegt ?

Wer

hat die Nadel in das

Sofa gesteckt ?

 

Ich glaube, hier ist

irgend etwas

nicht

in Ordnung.

Ich glaube, hier ist

irgendeiner,

der stört.

 

Wenn ich ihn finde -

bestimmt:

ich werde mich

mit ihm

befreunden.

 

 

 

 

 

 

 

Jeder Radfahrer weiß:

Unangenehm ist,

aufs Rad geflochten zu sein.

(Aber tun Sie mal etwas dagegen !)

 

Es gibt eben Dinge,

die sind,

wie sie sind.

        

Das Beste: Wir sprechen

nicht weiter davon.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

N a c h b a r s c h f t

 

 

Mein Zimmer grenzt oft an

Ägypten:

ein Vorteil

ein Nachteil.

 

Wenn der Wüstensturm

weht: ein Nachteil.

Habe ich Lust, auf Pyramiden

zu sehen: ein Vorteil.

Auch ziehe ich Nutzen

aus dem Wasser

des Nils.

 

Mit den Sphinxen bin ich noch nicht

im reinen

(später vielleicht).

Doch empfinde ich viel Sympathie

für Kamele:

Ich bewundere

ihre Geduld.

 

Manchmal sehe ich drüben auch

Menschen.

Doch verstehe ich nicht,

was sie reden.

Vermutlich sind es

Ägypter.

 

 

 

 

T i s c h e

 

Nach einem unbestätigten Gerücht

wurde Friedrich der Zweite von Preußen

auf einem Eßtisch gezeugt.

(Sein Vater – so heißt es –

war voll des süßen Weines.)

 

Der junge Goethe schrieb seinen „Werther“

an einem Schreibtisch, während er später

- wie noch später auch Rilke – ein Stehpult vorzog.

(Doch das ist hier nicht relevant.)

 

Bei Konferenzen sitzt man an langen

Verhandlungstischen, manchmal an runden auch,

und einmal hat man sich lange gestritten,

ob lang oder rund. (Währenddessen

fielen noch Zehntausend in dem Krieg,

den man am Tisch beenden wollte.)

 

Rouladen werden auf Küchentischen gemacht.

Auch wird dort Gemüse geputzt, Kartoffeln werden geschält,

und Brot wird geschnitten. Doch manchmal

kommt auch nichts auf den Tisch – es gibt solche Zeiten,

da kann man nichts machen.

 

Aber dann wiederum, eines Tages:

der Gabentisch.

 

Soviele Tische gibt`s auf der Welt

mit sovielen Zwecken.

Manche werden zu Altären erhöht,

das Abendmahl wird an ihnen gereicht.

 

An einem kleinen bunten Tisch

habe ich schreiben gelernt:

das A, das B und das C.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

D i e  G e z ä h m t e

 

Ich habe gesehen

-         gestern im Zoo -

im Freizeitgehege für Frauen:

eine Frau.

 

Sie lag in der Sonne

und schnupperte träg

am Kopf einer Rose.

Nur das Zucken der Nase

verriet (wie man so sagt),

daß sie

lebte.

Die Menge verharrte

in sicherem Abstand.

 

Ich hatte Konfekt

in der Tasche.

doch stand auf der Tafel:

Füttern verboten!

 

Kein Laut von der Frau.

 

Nur einmal ein Knurren:

als ihr der Wärter

die Rose entriß.

           *

Demnächst

-         so heißt es -

wird ihr

zwecks Erhaltung der Art

ein Gentleman aus Paris

zugeführt.

G e l e g e n t l i c h

 

 

Da nun die Flaschen fast leer sind

da in den Schalen der Abfall sich häuft

da nun das Licht in den Lampen

fahl wird und der Tag

durch die Ritzen und Risse hereinkriecht

zu uns

 

da diese ihr Haar wieder ordnet

und jene glattstreicht ihr Kleid

da dieser quer auf der Couch liegt

und jener dort auf dem Teppich

 

da die Köpfe nun Blei sind

und die Bäuche gebläht:

 

kocht jetzt den Kaffee

bringt uns die Mäntel

und ruft nach den Taxis !

Wir haben gehabt

was wir wollten -

 

wir rufen gelegentlich

an.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

K ü n s t l e r p e c h

 

 

Worte

purzeln mir

aus der Hand.

 

Ich bücke mich, sie

aufzuheben.

Doch schon

hat sie der Hund gefressen,

der große Hund, den

meine Freundin hat, um

mich zu ärgern.

 

Herr Redakteur:

Ich kann das Gedicht, das

Sie wünschen,

nicht liefern.

Gedichte

werden aus Worten

gemacht -

doch meine Worte hat

der Hund gefressen, der große Hund,

den meine Freundin hat.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

S c h l e c h t e r  W i n t e r

 

 

Morgens die klopfenden Schritte

auf dem von der Nacht noch schläfrigen Pflaster,

eilig,

hierhin und dorthin,

die Lichter der Wagen verstummen.

 

Gewohnheit desselben Bordsteins,

den Damm überquerend;

der gelbe Pfahl,

wo die anderen schon warten.

Die Luft schmeckt nach Unlust.

 

Noch immer kein Schnee.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Es regnet.

 

Du mußt die Tropfen zählen.

 

Es hört nicht auf,

eh das Ergebnis

stimmt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

A u t o r e n

 

 

Wir Schreiber,

wir Schelme:

ein X  für ein U.

 

Und dann noch Tantiemen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

D e r  S p i e l e r

 

Zweimal sechs Kreuze pro Woche,

dazu die Hoffnung auf

Zusatz:

 

Ich führe ein Lottoleben.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

F o r t s c h r i t t

 

 

Mein letztes Gedicht

besteht

aus 29 Wörtern.

das sind ca. 3 % mehr

(=1 Wort),

als das vorletzte

hat;

6% mehr,

als jenes

vom Vergleichsmonat des Vorjahrs

enthält.

 

Das Wachstum ist unübersehbar.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

S c h n e e

 

gibt es bekanntlich

nur mitten im Sommer,

so in den Monaten Juli, August -

oder zweifeln Sie etwa daran ?

 

Schnee

wird grundsätzlich

schneeweiß erzeugt und so

in den Handel gebracht.

Doch dunkelt er leider bei längerem Gebrauch.

Gelegentlich kommt es auch vor,

daß er schmilzt.

Wir werden das ändern.

 

Schnee

besteht aus Schnee,

aus nichts als Schnee.

Darum nennt man ihn Schnee.

Alles andere

wird anders genannt.

 

Manchmal

macht man Männer aus Schnee.

Diese haben den Vorzug,

Schneemänner

zu sein.

Sind  S i e  ein Schneemann ?

Na also !

 

In meiner Jugend gab es viel mehr Schnee

als heutzutage.

 

G e s p r ä c h

 

 

Alle reden vom Wetter.

Wir nicht.

Reden wir also vom

Wetter.

 

Wie meine, bitte,

der Herr ?

 

Ach -

nichts Besonderes.

Mir geht es nur

um ein wenig

Kon

ver

sa

tion.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

K o n j u g a t i o n

 

 

Ich gehe

du gehst

er geht

sie geht

es geht.

 

Geht es ?

 

Danke - es geht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

G u t e r  R a t

 

 

Ich habe dir schon immer gesagt:

Du sollst kein Öl auf Gemeinplätze

schütten.

Du verlängerst den Bremsweg deiner

Ideen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

R o b i n s o n

 

 

Man kann nicht gerade

behaupten,

daß wir lebten

wie er.

 

Bis auf

die Insel

(die kennen wir alle);

bis auf

den Ausguck,

oben,

in den Zweigen der Palme,

das Glas

fest an die Augen gepreßt;

bis auf

die Schanzen

rund um das Haus

(geladen und

nach allen Seiten gerichtet

sind die Gewehre);

bis auf den Ruf

in der Nacht.

 

Die Insel

der Ausguck

die Schanzen

der Ruf in der Nacht -

 

im übrigen aber:

Man kann nicht gerade

behaupten,

daß wir lebten

wie er.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

S c h n e e  i n  d e r  S t a d t

 

 

der Schnee

ist in der Stadt kein Schnee.

Der Schnee

ist in der Stadt der dumme August,

der immerzu sich schmutzig macht;

der Fremde,

auf den sie losgehn mit den Schaufeln;

das Kind,

das sich verlaufen hat

und nun an allen Straßenecken

weint.

        

Der Schnee wird nächstens von der Polizei

verboten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

D e r  W e i h n a c h t s m a n n

 

 

Er wohnt in Groß-Köcknitz,

Bahnstraße acht.

Die Rente

reicht gerade für Zimmer und Küche,

das tägliche Bier

und sonntags eine Zigarre.

Doch ist er im ganzen

nicht unzufrieden:

Er wird geschätzt als ruhiger Nachbar,

bis auf die Füße

ist er gesund.

 

Machmal besuchen ihn

Kinder.

Denen erzählt er

die alten Geschichten,

holt den Mantel hervor,

zeigt schmunzelnd die Rute.

Sie hören ihm zu

und zupfen ihn heimlich

am Bart,

ob der auch echt ist.

Sonst spricht er nur wenig.

 

Wenn Schnee liegt,

sitzt er lange am Fenster.

Am Heiligen Abend

ist er allein.

 

 

 

 

H a v e l s c h i f f a h r t

 

 

Am Abend

steuern alle Boote das Schilf an

und schaukeln die Morsezeichen der Liebe:

        

navigare necesse est.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

D a s  M e e r

 

 

Ich vermute: Es ist

in die Sonne verliebt.

Jeden Abend

haben die beiden was miteinander.

 

(Wenn auch nur selten

ganz ohne Wolken.)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

N a t i o n a l e  G e m e i n s a m k e i t

 

 

Wenn "Derrick" vorbei war,

rauschten

im ganzen nächtlichen Deutschland

die Wasserklosetts:

 

Ein Volk trat aus.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

A n l ä ß l i c h  d e r  B e g r ü n u n g  d es  H o f e s  d e s 

H a u s e s  J e n a e r  S t r . 8, 1 0 7 1 7  B e r l i n

 

 

Hoffentlich

kriegen wir mal auf dem Hof

etwas Grünes –

sagte der Rentner

im dritten Stock des linken

Seitenflügels.

 

Ein Engel hörte es

und gab die Worte

weiter.

 

Nun

blühen neben der Teppichstange

zwei Rosen.

Farn

neigt sich

am zersprungenen Zementweg.

Sogar ein Bäumchen

wächst hervor.

Und übern Drahtzaun klettern

blattgelockte runde Ranken.

 

Wir sehen es und

reiben uns die Augen:

War Flora

selber hier am Werke?

 

Ach, wahrscheinlich

war es nur die Hausverwaltung,

die einem Gärtner ihren

Auftrag gab.

Doch laßt mich denken:

Flora war`s!

 

Im Morgengrauen gestern

schien es mir,

ich sah sie auf der Teppichstange

balancieren.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

V e r g e b l i c h e r  V e r s u c h, m i t  e i n e m 

V e r w a n d t e n  i n s  G e s p r ä c h  z u  k o m m e n

 

 

Er sitzt und sieht mich

an.

Ich sage: Bonjour, alter Freund !

Oder verstehst du nur Englisch ?

 

Er sitz und sieht mich

an.

 

Ich sage: Banane ?

Und halte ihm eine entgegen.

 

Ganz langsam

langt er durchs Gitter.

Ich sage: Laß sie dir schmecken !

 

Er reißt sie auf und beißt hinein.

 

Ich sage: Na ?

 

Er sitzt und kaut und sieht mich

an.

 

Ich sage: Ich heiße Philipp.

Und du ? Wie heißt du ?

 

Er sitzt und kaut und sieht mich

an.

 

Ich weiß: Er heißt Bobby

(es steht auf der Tafel)

und kommt aus Guinea.

 

Ich sage: Bobby !

Wie gefällt dir`s bei uns ?

 

Er sitzt, wischt sich den Mund und sieht mich

an.

 

Ich sage: Nun mach doch mal was !

Sei nicht so stur !

Da ist deine Kugel,

da ist dein Trapez,

da ist auch dein Fahrrad.

Schließlich habe ich Eintritt bezahlt !

 

Er sitzt und sieht mich

an.

 

Ich hebe die Hand.

Zeig` auf die Kugel,

zeig` auf das Trapez,

zeig` auf das Fahrrad.

Ich schnalze.

Ich schneide Grimassen.

Ich sage: Gib wenigstens Pfötchen !

 

Er sitzt und sieht mich

an.

 

Ich gebe es auf.

Wende mich ab,

geh` weiter.

Dreh` mich noch einmal um.

 

Er sitzt und sieht mir

nach.

 

So ein Affe !

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

P l a n e t a r i u m

 

 

Dr. Schneider drückt einen Schalter

und macht den Himmel.

("Es schienen so golden die Sterne...")

Er hebt seinen Lichtpfeil und spricht.

 

Es gibt Sterne, die feststehn (scheinbar),

und es gibt Sterne, die wandeln.

Heut läßt er den Jupiter wandeln.

 

Wandeln im Frühling,

wandeln im Sommer,

wandeln im Herbst.

 

Und auch noch im Winter

 

Er läßt die Monde Jupiters kreisen,

stoppt sie,

setzt sie wieder in Gang.

Gesellt die Venus dazu,

den Pluto, den Mars.

Der ganze Himmel gehorcht

seinem Wink.

 

Dr. Schneider ist ein Zauberer,

ist Jupiter selbst.

Wenn er nur wollte:

Gleich

würde es donnern und blitzen.

 

Wie muß er sich fühlen !

                            *

Ist der Vortrag vorüber,

fährt Dr. Schneider nach Hause,

setzt sich in seinen Sessel

und zündet das Fernsehen an.

 

Er freut sich wie ein Kind:

 

Gleich

kommt die Lindenstraße.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

H ä u s e r

 

 

Einst Höhlen

später das Strohdach

der Schiefer

Jetzt in die Wolken

gewachsen:

Menschenspeicher

nicht mehr zu

zählen

 

Ich hier

du dort

 

Zum Glück

gibt`s Telefon

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

L e i s t u n g s v e r w e i g e r u n g

 

 

Ich fahre im Bus.

Alle Plätze besetzt.

Wer jetzt noch einsteigt,

muß stehen.

 

Eine Dame steigt ein,

immer noch jung

und  s e h r  attraktiv.

Jetzt steht sie vor mir,

mustert mich kühl.

 

Ich will das Ziel der Klasse

nicht mehr erreichen:

 

Ich bleibe sitzen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

B e l a u s c h u n g e n

 

 

Ich rede.

Ich rede mit mir selber.

Ich rede mit anderen.

Ich höre andere mit anderen reden.

 

Ich lausche.

 

Was reden andere,

wenn sie mit anderen reden ?

Wie reden sie ?

Reden sie,

wie ich,

wenn ich mit mir selber rede,

rede ?

Oder reden sie so,

wie ich mit anderen rede ?

 

Ich lausche.

 

Das Ergebnis bleibt

unklar.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

R e k l a m a t i o n

 

 

Haare in der Suppe,

Locken im Brei,

ein ganzer Zopf in dem Gemüse -

wer hat uns das nur

eingebrockt ?

 

Frau Wirtin, gehen Sie doch mal

in die Küche und sehen Sie nach,

ob da der Klabautermann kocht.

Wir haben das starke Gefühl:

Es stimmt etwas nicht

in Ihrem Lokal !

 

Der Klabautermann ist es nicht ?

Also liegt es an der Bedienung ?

Oder vielleicht an uns

selbst ?

 

Gleichviel: Wir brauchen dringend

Abhilfeschaffung.

Fragen Sie bitte bei der Auskunft an

(eins - eine - acht - acht),

wer da zuständig ist.

 

 

 

 

 

 

 

 

L e b e n s l a u f

 

Der Bäcker, das Brot

dazu noch der Kuchen.

Das tägliche Brot

der tägliche Kuchen

täglich

zum Bäcker.

 

Als er sechsundzwanzig Jahre alt wurde, beschlossen

seine Eltern, ihm keine Unterstützung mehr zuteil

werden zu lassen.

 

Au backe !

Kein Bäcker, kein Brot.

Au backe, kein Kuchen !

 

Da sagte er sich: Was soll`s ? Was der Mensch braucht,

muß er haben.

 

Und nahm sich das Brot

und nahm sich den Kuchen

au backe

täglich beim Bäcker.

 

Das ging solange, wie`s ging. Als er aber zum dritten

Male Ärger mit der Polizei bekam, hatte er´s satt.

                  

Und buk sich selber sein Brot

sich selber den Kuchen

täglich sein Brot

täglich den Kuchen

 

und wurde ein Bäcker.

 

 

 

T o p  s e c r e t

 

 

Die Feuerwehr ist es nicht,

die die Brände löscht.

(Die Brände erlöschen von selbst.)

Die Feuerwehr ist es vielmehr,

die die Brände legt !

 

Doch das ist ein Geheimnis,

über das man nicht laut sprechen darf -

 

es sei denn

unter

Feuerwehrleuten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

N a c h s a i s o n  a m  H a f e n  v o n  L i s t

 

 

Auf

reißt sein Maul das Fährschiff,

als wolle es die ganze Insel Sylt verschlingen.

Aber der Brocken ist zu groß.

Es muß ihn liegenlassen

und schluckt nur ein paar Autos,

die ohnehin zuviel sind.

 

Im übrigen:

zehn bunte Buden,

als wär` das ganze Jahr lang

Jahrmarkt an dem deutschen Nordpunkt;

ein paar Boote,

schaukelnd auf dem Wasser, welches steigt;

Gedenkstein für die ersten Weltumflieger,

die von hier gestartet,

und Glühwein, Grog und Luckner (Graf).

 

Eisig der Nordwind,

der die Bucht des Königshafen kämmt

und Menschen beißt, die nicht recht wissen,

warum sie hergekommen sind.

Und auch ein Bus aus München friert

und reibt sich seine kalten Reifen.

 

Wir stehn und schaun.

Von fern der Ellenbogen,

auf dem noch Geister wohnen,

die niemand mehr beschwört:

Baden verboten -

Lebensgefahr !

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

B e r l i n,  B a y e r i s c h e r  P l a t z

 

I

 

So viel Tauben heut

auf dem Bayerischen Platz !

Als wollten sie den Grassamen

plündern, den der Bezirk

hat ausstreuen lassen.

Aber das kluge Gartenbauamt

hat einen Rentner mit Klingel

bestellt - der klingelt die Tauben

hinweg.

        

Nun kreisen sie ratlos

über dem Platz

wie die Gedanken eines

beim Dichten gestörten

Dichters.

 

 

II

(im Winter)

 

So viele Möwen heut

über dem Bayerischen Platz !

Als wär er ein Hafen,

jedes Auto ein Schiff, das einläuft

und Essensreste abläßt,

die schnappen sie dann im Sturzflug

aus trübe bewegten eiskalten Wassern.

Wirklich: Die Luft riecht

nach Teer und nach Salz,

die kahlen Äste der Bäume

sind Taue, die auf Anleger warten.

Wir stehen am Kai,

versuchen, die Möwen zu zählen -

unzählbar sind sie

wie Schnee.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

A n s c h l a g  a u f  d e m  R e i c h s b a h n - B a h n h o f  

C a p u t h - G e l t o w  (1 9 9 2 )

 

 

Fahrkarten gibt es hier nicht.

Die nächste Fahrkartenausgabe:

Haltepunkt Schwielowsee (1 km entfernt).

Sie können den Zug aber auch

ohne besteigen

und melden sich dann beim Begleitpersonal.

 

Mich, den Fahrdienstleiter

(auch Stationsvorsteher genannt),

gibt es hier ebenfalls seit zweiundzwanzig Jahren

nicht mehr.

Der türlose Eingang zu meinem Dienstraum

ist durch Spinnengewebe versperrt,

das wirklich beachtenswert ist.

 

Wir haben aber auch noch anderes zu bieten:

zum Beispiel zwei Bänke, die voll

im Sonnenlicht stehen,

und eine herrliche Ruhe.

Genießen Sie diese

und lassen Sie sich nicht stören,

wenn einer der wenigen Züge hier hält !

(Es steigt ohnehin kaum jemand ein oder aus.)

Der Kürbis dort in dem Garten,

hinter den Bänken,

wird nicht mehr geerntet,

der hängende Zaun nicht mehr repariert.

Das kletternde Grün am Signalmast

bleibt.

 

Und - wie erwähnt - die Ruhe.

 

Wir sind zwar kaum noch ein Bahnhof,

jedoch ein Stück Paradies.

 

(Bezetwe: ein Biotop.)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

N e u m o n d  ü b e r  L a n z a r o t e

 

 

Die Sichel schwimmt im Himmel

wie eine Barke im Wasser:

waagrecht,

nicht schräg wie bei uns.

(Du verstehst schon: die andre Perspektive

der südlicheren Breite.)

Auch alle Sterne sind verschoben.

Nur der Wind,

er rührt die Wedel der Palmen

und weht wie überall.

                  

Was wollen wir hier ?

Warum nicht bleiben

unter dem gewohnten Bild ?

Dem Mond ist es gleich,

den Sternen gleich,

von wo wir sie sehen.

 

Dort drüben schwebt ein Schiff durch die Nacht:

Lichter vom Bug bis zum Heck

und aus den Kabinen.

Wir werden den Kapitän der Funk befragen,

ob er wohl weiß,

warum man reist.

 

 

 

 

 

 

 

N o c h  i m m e r

 

 

Neulich abends um sieben

gab es plötzlich kein Meer

mehr.

Quelle surprise, Madame !

 

Wir wollten baden,

im Dunkeln baden,

aber das Wasser war weg.

Was tun ?

 

Wir setzten und nieder am Strand,

am Ehemals - Strand,

und warteten ab.

 

Die Nacht stieg herauf,

die Sterne, der Mond -

kein Wasser.

 

Der Morgen kam,

der neue Tag -

kein Wasser.

 

Und wieder die Nacht

und wieder der Tag

und wieder und wieder und wieder -

kein Wasser.

 

So sitzen wir nun auf dem Trocknen

(wie lang` eigentlich schon ?),

noch immer zum Baden

bereit.

D e r  F r ü h l i n g

 

Über ihn wurde schon vieles gesagt.

Ich schließe mich meinen Vorrednern

an.